Das Feuilleton ist voller alter männlicher Stimmen. Die beiden jungen Kulturkritiker*innen Justus und Malin finden das höchstproblematisch. Im Gespräch berichten sie von ihrem schwierigen Einstieg und der Bedrohung der Kulturszene durch rechte Kräfte.

Beide waren früher für die Unauf tätig. Justus schreibt inzwischen frei für den Tagesspiegel, Malin ist Regieassistentin am Münchner Volkstheater und Co-Gründerin des ruhelos.kollektiv, welches sich kritisch mit dem gegenwärtigen Literatur- und Theaterbetrieb auseinandersetzt. 

UnAuf: Hallo Malin, hallo Justus. Ihr beide seid kulturjournalistisch tätig, wie viele unbezahlte Praktika habt ihr schon gemacht? 

Malin: Ich musste für meinen Karriereeinstieg zwar keine unbezahlten, dafür aber unterbezahlte Praktika machen.

Justus: Ich habe noch keine unbezahlten Praktika gemacht – bei mir ist der Einstieg in den Journalismus aber auch ein wenig atypisch gelaufen: Ich bin in einem kulturbürgerlichen Elternhaus aufgewachsen – das ist natürlich ein großes Privileg. In meiner Jugend saßen gewissermaßen Beuys und Brecht mit am Abendbrottisch, da wurde eigentlich immer über Kultur diskutiert. Da war es in Berlin für mich selbstverständlich, sich alles anzusehen. Irgendwann habe ich dann gedacht, ob ich meine Gedanken nun der Klofrau erzähle oder darüber schreibe, ist doch einerlei. Daraus ist – mit Hilfe der damaligen Chefredaktion der Unauf – meine zweiwöchige Kulturkolumne entstanden.

UnAuf: Und, Malin, wie war das für dich? 

Malin: Ich bin 2018 nach Berlin gezogen und das war eine völlig neue Welt für mich. Erst durch das Interesse am Theater habe ich nach einem privaten Literaturblog journalistisches Schreiben erwogen. Als ich mich dann mehr für das Theater interessiert habe, hat auch mich die damalige Chefredaktion der UnAufgefordert bestärkt. Einzige Regeln: Gute Texte, Leute erreichen und Argumente ohne Etepetete-Ebene. So bin ich mit meiner Kolumne „Drama, Baby“ 2020 gestartet. Aber: Ich habe das als einen sehr mühseligen und langwierigen Prozess erlebt, sich diese Meinungen überhaupt zu bilden und insbesondere: sie sich zu erlauben.

UnAuf: Du hast gerade die „Kulturkritik ohne Etepetete“ angesprochen: Wie wichtig findet ihr es, auf Augenhöhe mit dem Leser zu schreiben?

Malin: Ich habe schon früh gesagt bekommen: Die besten Texte erklären dir das Komplizierteste ganz einfach. In dieser fremden Kulturwelt hat man oft das Gefühl, sich wie ein Pfau aufbauschen zu müssen. Alle sind so klug, gehen seit sie sechs sind in die Oper und man steht mit seinem Studi-Ticket da und denkt sich: „Scheiße, wie soll ich das je aufholen?“. Aber: Aufbauschen muss nicht sein – weder persönlich noch im Schreiben. Man darf seinem ersten Impuls trauen und sagen „Oh nee, das ist Scheiße“. Kulturkritik funktioniert nicht für alle, aber es funktioniert, solange man sie gut macht, für sehr viele mehr als man eigentlich denkt.

Justus: Ich glaube aber auch, dass einer gewissen Komplexität im Theater und in der Besprechung auch ein Reiz innewohnt. Alles so runter zu skalieren, dass es dann auch jeder versteht, ist natürlich theoretisch schön, aber auch dieses Knabbern an einem Text kann ein ganz aufregender Prozess sein.

UnAuf: Die Möglichkeiten auf dem Gebiet des klassischen Journalismus werden immer weniger: Warum eröffnet ihr nicht einfach einen YouTube-Kanal und sprecht dort eure Kritiken ein?

Justus: Purer intellektueller Hedonismus (lacht). Nein, das ist wahrscheinlich Idealismus, oder?

Malin: Journalismus kann davon profitieren, in seinen Formaten zu changieren – das schließt sich nicht aus. Persönlich hänge ich an diesem Printmedium, aber frage mich auch, was noch geht. Noch gibt es zwar viele Literaturmagazine und kulturjournalistische Bestreben, aber einfach wenig Finanzierung. Dem liegt zugrunde, dass der Prestigegedanke der Kultur, der noch vor wenigen Jahren über allem stand, immer weiter zurückgeht. Kultur braucht meiner Meinung nach keine Sonderstellung, sollte aber genauso wie alle anderen Themen fest verankert sein im Rondell des Journalismus.

Justus: Kultur als Lebensraum muss vor den Gefahren der Kommerzialisierung verteidigt werden. Der Raum wird immer kleiner dort, wo wir als Gesellschaft sagen: Wir können uns Kultur nicht mehr leisten. Kultur ist schwer zu fassen. Sie ist nicht ökonomisierbar, sie ist einfach da, weil sie schön ist. Weil wir in die Oper gehen und sie unser Herz berührt. Weil wir ins Theater gehen und darüber streiten. In einer Gesellschaft, die immer mehr auf den nicht verdienten Euro schaut, ist das eigentlich Zeitverschwendung.

Malin: Ich bin nun hauptberuflich in der Branche tätig. Für mich ist Kultur Lebensgrundlage – keine Option, sondern eine Aufgabe. Wenn es weniger Jobs, Förderung und Unterstützung in diesem Bereich gibt, dann verschwinden ganze Existenzen. Dadurch halte ich Kulturkritik für umso relevanter. Kultur besteht daraus, dass sie diesen kritischen Diskurs thematisiert. Wenn ich selbst Theater mache, dann muss ich sie aushalten, sie fördert mich sogar. Das ist schwer, aber auch eine Kunst. Journalisten strukturieren mit Haltungen und Texten diese Landschaft, dem müssen sie sich bewusst sein.

Justus: Selbst auf TikTok ist das möglich. Es gibt eine wunderbare Kollegin, Maja Seidel, die Theaterkritik auf TikTok macht und damit, wie ich höre, sehr erfolgreich ist. Meins wäre es jetzt nicht. Ich weiß nicht, ob es unbedingt ein neues Medium braucht, aber ich glaube, dass man die Medien, die es gibt, immer wieder neu für sich einnehmen muss. Jede Generation muss auch diese klassischen Schiffe neu entern. Lasst uns doch gerne miteinander reden, lasst doch die Alten mit den Jungen sprechen, aber lasst uns das irgendwie durchmischen.

UnAuf: In den kulturkritischen Umfeldern findet gerade – wie in so vielen anderen Gebieten auch – ein Generationswechsel statt. Die jüngere Generation versucht Plätze zu übernehmen, scheitert aber sehr oft daran, gerade weil es so wenige Stellen gibt. Was geht durch den schweren Einstieg verloren? 

Justus: Ich glaube, dass es aktuell noch so ist, dass gerade in den kulturjournalistischen Segmenten der Medien- und Funkhäuser die Älteren regieren. Die Finanzressourcen sind schon sehr geschrumpft, es werden viele freie Mitarbeiter beschäftigt und es gibt nur noch so zwei, drei feste Redakteure – oft sehr gediegene Kollegen. Was die Zukunft betrifft, so ist das sehr einfach: Wenn die Entwicklung so weitergeht, dann wird es Kulturjournalismus in dieser Form einfach nicht mehr geben, weil Kulturjournalismus womöglich auf lange Sicht nicht für rentabel genug gehalten wird. Dann braucht auch kein Generationswechsel mehr angestrebt werden. Dabei könnte man so viele Dinge machen. Es gibt doch in den meisten Freundeskreisen Leute, die theaterbegeistert sind. Für die Schaubühne Tickets zu bekommen, ist schwieriger als für manches Popkonzert. Wenn die Häuser gut spielen, dann sind sie voll.

UnAuf:  Subventionen für Kultur sind auch sehr politisches Territorium…

Malin: Auf die Straße gehen gegen Rechts ist genauso mit dem Sprechen über Literaturkritik gegen Rechts verknüpft. Das ist eine politische Haltung. Da geht es um den Erhalt von Räumen, von Kunst und von freiem Journalismus. Dafür setzen wir uns ein.

Justus: Das schönste Abschiedsgeschenk, das der linke Kultursenator Berlin gemacht hat, war der 50-Euro-Kulturgutschein für alle unter 23. Es gibt auch Tickets für neun Euro für die Theater oder über die Klassik-Card 15 Euro für ein Opernhaus, wo die Karten sonst 90 Euro kosten. Jedes Theater, das diese hält, kann nicht hoch genug gelobt werden. Letztendlich ist es das, was junge Leute dazu bewegt, sich das mal anzuschauen. Deshalb muss das Angebot auch bleiben. Es darf nicht in zwei Jahren zwölf Euro kosten, dann 15 und irgendwann ganz abgeschafft werden.

UnAuf: Letzte Frage: Was sollte man in dieser Spielzeit unbedingt schauen? 

Malin: Ich habe mit meiner Kollektivpartnerin Patricia Stövesand eine vom Berliner Senat geförderte Veranstaltungsreihe produziert und kuratiert, die sich mit Umbrüchen im Literatur- und Theaterbetrieb beschäftigt und der Sichtbarkeit von dem, was eigentlich vom Nicht-Kanon herauskommt. Dazu haben wir acht wahnsinnig tolle Gäste aus der Berliner und deutschlandweiten Kulturszene eingeladen, die mit uns über die Vereinbarkeit von Kunst und Care-Arbeit, Queerness, Popkultur und vieles mehr sprechen. Die nächste Veranstaltung ist am 1. September.

Justus: Außerdem: keine Scheu vor der Oper. Die Komische Oper etwa nutzt die Zeit der Renovierung ihres Haupthauses für Aufführungen in der ganzen Stadt – zum Beispiel gibt es in der nächsten Spielzeit Händels ,,Messias‘‘ im Flughafen Tempelhof. Mindestens genauso gespannt bin ich auf ,,Die Frau ohne Schatten‘‘ von Strauß an der Deutschen Oper. Und da haben wir noch nicht von den Theatern geredet und den Konzerthäusern und den unzähligen kleinen Theatern… Es gibt einfach sehr viel zu entdecken und es lohnt sich wirklich, genau das zu versuchen: zu entdecken.

Malin: Ich freue mich darauf, im Juli „Spielerfrauen“ von Sina Martens und Lena Brasch am Berliner Ensemble zu sehen, die mit ihrem Stück auf die Machtstrukturen im und um den Profi-Fußball herum hinweisen, was jetzt, wo die EM startet, ein unübersehbarer Anlass sein sollte, sich dieses Stück anzuschauen.


Fotocollage: Erstellt von Malin Kraus und Justus Jansen.

 

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