Ulrike Baureithel ist Lehrbeauftragte am Institut für Deutsche Literatur, Lektorin und freie Mitarbeiterin bei der Wochenzeitung „Der Freitag”. Ein Gespräch über prekäre Arbeitsverhältnisse, How-To-Journalismus und die Leidenschaft fürs Schreiben.

UnAuf: Frau Baureithel, das Thema dieser Ausgabe lautet „Hass“. Wie sehr hassen Sie Ihre Bezahlung als Lehrbeauftragte am Institut für Deutsche Literatur?

Ulrike Baureithel: Mit Hass würde ich das auf gar keinen Fall in Verbindung bringen. Nein, ich hasse andere Dinge, die AfD zum Beispiel. Was mich wütend macht, ist die große Spreizung in der Uni-Lehre: Lehrbeauftragte bekommen viel weniger bezahlt, sodass ich meine Lehrtätigkeit eher als ein Hobby bezeichne – als Lehrbeauftragte könnte man nicht überleben. Durch den Rot-Rot-Grün-Senat hat sich die finanzielle Situation in den letzten Jahren etwas verbessert. Dennoch bleibt die Bezahlung weiterhin prekär.

Was genau macht denn eine Lehrbeauftragte? Sind Sie denn so etwas wie eine freie Mitarbeiterin?

An der Uni nutzt man den Begriff der freien Mitarbeit nicht, aber ja, vom Status her sind Lehrbeauftragte quasi freie Mitarbeiter*innen. Das heißt, im Unterschied zu wissenschaftlichen oder studentischen Mitarbeiter*innen bin ich nicht fest angestellt, sondern erhalte ein Honorar. Momentan bekomme ich 55 Euro pro Stunde, die ich halte. Das klingt erstmal nach viel Geld, aber gemessen am Arbeitsaufwand ist es das nicht. Allein die Vorbereitung meiner Kurse und natürlich die Korrekturen von Hausarbeiten und sonstigen Seminarleistungen nimmt viel Zeit in Anspruch. Dazu kommen Beratungen zwischendurch und die vielen Emails – ich habe gerade mal in mein Postfach geschaut, in einem Semester erhalte ich bestimmt 200 bis 250 Mails, die zu beantworten sind. Wenn ich das alles auf die Stunde umrechne, springen vielleicht zehn Euro dabei raus.

Und warum sind beziehungsweise bleiben die Arbeitsbedingungen Lehrbeauftragter an Unis so prekär?

Was das Ökonomische betrifft, hat sich seit den Kämpfen der Achtundsechziger-Bewegung gegen die Ordinarien-Universität nicht viel verändert. Das System, in dem ein guter Teil der Lehre auf Lehrbeauftragte und andere prekär Beschäftigte an der Uni abgewälzt wird, hat sich, seitdem die Universität sich zu einer Massenveranstaltung entwickelt hat, noch verschärft. Es gibt inzwischen Bewegungen von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, die dagegen kämpfen, dass sie immer nur über Kettenverträge beschäftigt werden, ich erinnere an #ichbinHanna. Die Lehrbeauftragten sind daran aber kaum beteiligt, sie arbeiten meist in anderen Berufen, sind verstreut und kommen lediglich an die Uni, um zu unterrichten.

 Ich habe zwei Seelen in der Brust”

Immerhin geben Sie schon seit 27 Jahren Kurse am Institut. Was lässt Sie weitermachen? 

In erster Linie habe ich schon immer gerne Wissen vermittelt, das macht mir einfach Spaß – das ist so etwas wie pädagogischer Eros. Außerdem habe ich gerne mit jungen Leuten zu tun. Ich selbst habe keine Kinder und finde, wenn man älter wird, ist es wichtig, mit der jungen Generation in Kontakt zu bleiben – wobei ich mittlerweile schon mehr als eine Studierenden-Generation begleitet habe.

Hauptberuflich sind Sie Journalistin, vor allem für die Wochenzeitung „Der Freitag“, die Sie mitbegründet haben. Außerdem arbeiten Sie als freie Sachbuch-Lektorin und sind Literaturwissenschaftlerin. Ein Buch haben Sie auch noch geschrieben. Ganz schön viel – wollten oder konnten Sie sich nie für eine Sparte entscheiden? 

Ich sage immer, ich habe zwei Seelen in der Brust. Nach meiner Berufsausbildung zur Buchhändlerin und Berufstätigkeit in verschiedenen Bereichen war es mir schlicht zu langweilig, ich wollte wieder denken lernen. Nur hatte ich als Babyboomerin eigentlich keine Chance, meinen damaligen Traum einer wissenschaftlichen Karriere zu verwirklichen – es gab einfach nicht genug Stellen. Und der Lehrberuf stand damals auch nicht offen, das heißt, es hatte keinen Sinn auf Lehramt zu studieren wie heute. Das journalistische Schreiben war eine frühe Leidenschaft, der ich bereits im Studium begann nachzugehen. Und als mit der Wende dann der „Freitag“ entstand, der damals noch den Untertitel Ost-West-Wochenzeitung trug, habe ich das Angebot genutzt, nach Berlin zu kommen und beim Aufbau mitzuhelfen. Ich bin also eine klassische Seiteneinsteigerin, die als Literaturwissenschaftlerin angefangen hat und dann immer nur das gemacht hat, worauf sie Lust hatte und wovon sie irgendwie finanziell über die Runden gekommen ist. Das Geld war aber nie meine Priorität, sonst hätte ich wohl BWL oder so etwas studiert. Auch inhaltlich war ich breit interessiert, ich war sehr aktiv in der feministischen Bewegung damals und habe als Frauenredakteurin angefangen. Später habe ich im Kulturressort gearbeitet, in der Politik und als Wissenschaftsredakteurin. Inzwischen schreibe ich beim „Freitag“ vor allem über Gesundheitspolitisches und Soziales. Und für den Tagesspiegel bin ich regelmäßig als Literaturkritikerin tätig. Die Quittung dafür, im Leben immer nur das zu tun, was mir Spaß gemacht hat und kaum fest angestellt gewesen zu sein, muss ich jetzt zahlen – meine Rente fällt so dürftig aus, dass ich bald aus meiner Wohnung ausziehen muss.

Mut zur Oberflächlichkeit!”

Wir bei der UnAuf sind alle im Studium und machen erste Schreiberfahrungen. Gerade in den Geisteswissenschaften können aber die wenigsten schon genau sagen, wo es beruflich langgeht. Ist das bedenklich?

Nein. Man sollte sich im Studium ruhig Zeit nehmen, sich auszuprobieren, denn diese besondere Zeit kommt nie wieder. Gleichzeitig sollte man sich aber auch nicht zu weit zurücklehnen und sich unbedingt fragen, ob der Studiengang oder sogar das Studium allgemein zu einem passt. Ich habe immer wieder Leute in meinen Kursen sitzen, mit denen ich mich am liebsten mal zusammensetzen und überlegen würde, wo sie besser aufgehoben wären. Die Pandemie hat dieses Problem leider verschlimmert, da saßen alle nur in ihren Kämmerchen und waren auf sich selbst zurückgeworfen. Das selbstdisziplinierte Arbeiten, das nun eben auch zum akademischen Beruf gehört, hat überfordert. Das Studium hat auch eine soziale Seite, diese Erkenntnis ist durch das Homeoffice vielfach verloren gegangen – das merke ich auch an der Anwesenheitsquote in meinen Kursen. Früher war, glaube ich, noch mehr Wille und Druck da.

Was würden Sie angehenden Journalist*innen mit auf den Weg geben?

Selbstorganisation und Zeitmanagement sind das A und O, und wie ich gerade sagte, lernt man das am besten während des Studiums. Außerdem sollte man unbedingt gut ausgebildet sein in einem Fach. Egal in welchem, man muss Expertise mitbringen. Und Neugierde ist elementar, Neugierde auf Menschen und Geschichten – eine gewisse Offenheit und Kontaktfreudigkeit ist da von Vorteil, wobei man sich auch zurücknehmen können muss. Eine Auftrittsmentalität ist eher abträglich, es geht ja nicht um eine Performance wie im Fernsehen. Letztendlich sind Journalist*innen Vermittler*innen, nicht nur schreibend, sondern vor allem mit dem Kopf. Außerdem kann ich nur raten (und das ist der große Unterschied zur Wissenschaft): Mut zur Oberflächlichkeit! Texte müssen fundiert recherchiert sein, aber man kann Themen nicht so durchdringen wie bei einer wissenschaftlichen Arbeit. Es geht in erster Linie darum, Menschen mitunter komplizierte Dinge klar und einfach zu erklären.


Foto: Anna Raab

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