Jeder Sommer scheint heißer als der vorherige zu sein und Berichte über Wetterextreme mehren sich. UnAuf hat mit Dr. Florian Imbery, Sachgebietsleiter in der Abteilung Klimaüberwachung des Deutschen Wetterdienst, über die Folgen des Klimawandels gesprochen.

UnAuf: Herr Dr. Imbery, das Jahr 2020 war in Europa das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, in Deutschland immerhin noch das zweitwärmste. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) sagte, dass “2020 das Jahr der verstärkten Klimawandelfolgen” gewesen ist. Sind Sie beunruhigt?

Imbery: Das sind auf jeden Fall beunruhigende Entwicklungen. Sowohl in Europa als auch in Deutschland sowie im Rest der Welt hatten wir in den letzten 5-6 Jahren eine Häufung von sehr warmen Jahren. Tatsächlich finden wir die wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen mittlerweile nach 2012. Diese werden immer häufiger auch von Extremereignissen begleitet: im letzten Jahr waren das zum Beispiel die Waldbrände in Kalifornien, die sibirische Hitzewelle mit dem Auftauen des Permafrostbodens oder der Rückgang des Meereises in der Arktis. Und im Jahr davor haben wir im Juli an mehreren Orten in Deutschland über mehrere Tage hinweg Temperaturen von über 40 Grad Celsius gemessen. Sowas haben wir davor noch nie erlebt. Das sind Entwicklungen, die sich unserer Einschätzung nach weiter beschleunigen werden.

UnAuf: Ist das alles schon der Klimawandel oder sind das noch natürliche Schwankungen?

Imbery: Viele Entwicklungen können wir zweifelsfrei dem menschengemachten Klimawandel zuordnen. Zum Beispiel lässt sich die globale Erwärmung, wie wir sie seit den frühen 1970er Jahren beobachten können, nicht mehr ohne unsere menschlichen Emissionen erklären. Es gibt einfach keine andere physikalische Erklärung. In der Klimawissenschaft gibt es einen jungen Forschungszweig, die sogenannten Attributionswissenschaften, die erforschen, in welchem Ausmaß ein Extremwetterereignis eines natürlichen Ursprungs ist oder eben durch den anthropogen Klimawandel bedingt ist. Hier ergab eine Studie aus dem letzten Jahr, dass die Hitzewelle in Sibirien in einer heutigen Welt mindestens 600 mal wahrscheinlicher ist als in einer vorindustriellen Welt, in der der Mensch das Klima noch nicht beeinflusst hat.

Gleichzeitig ist es so, dass nicht jedes Extremereignis nur aufgrund des Klimawandels stattfindet. Es gab auch früher schon trockene und heiße Jahre. Aber vieles ist doch neu. Ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel: die Jahre 2018, 2019 und 2020 waren in Deutschland insbesondere während der Vegetationsphase sehr warm und sehr trocken. In unseren Wetteraufzeichnungen, die für die letzten 140 Jahre sehr gute Informationen liefern und teilweise auch in die Jahrhunderte davor zurückreichen, haben wir keine vergleichbare solche Folge finden können.

UnAuf: Ist der Klimawandel also endgültig in Deutschland angekommen?

Imbery: Das würde ich auf jeden Fall so sagen. Wir stecken mitten in tiefgreifenden Klimaveränderungen. Die Klimamodellläufe, die vor 20 oder 25 Jahren die Klimaentwicklung für unsere Gegenwart berechneten, haben sich allesamt bewahrheitet. Besonders sensible Sektoren wie die Forstwirtschaft oder auch die Industrie, die auf schiffbare Flüsse als Transportwege angewiesen ist, bekommen aufgrund der Trockenheit Probleme.

Ein großes Chemieunternehmen erwägt derzeit, in Transportschiffe mit geringerem Tiefgang zu investieren. Schließlich wurde zwischen 2018 und 2020 in jedem Sommer teilweise der Betrieb auf dem Rhein wegen niedriger Pegelstände eingestellt werden. Dadurch haben sich in Teilen Deutschlands auch die Benzinpreise deutlich erhöht, weil man beim Transport auf die Straße ausgewichen ist. Die Konsequenzen des Klimawandels können also sehr schnell beim Verbraucher ankommen. In meinem Bekanntenkreis wurde ich früher oft gefragt, ob ich persönlich wirklich glaube, dass sich das Klima erwärmt. Diese Fragen höre ich jetzt viel seltener.

UnAuf: Vor der Corona-Pandemie haben Fridays for Future viel Aufmerksamkeit erzeugt. Gehen Meldungen über aktuelle Klimaentwicklungen aufgrund der Pandemie gerade unter?

Imbery: Die Corona-Pandemie ist ein globales Extremereignis, das momentan in den Medien natürlich im Vordergrund steht. Teilweise wird auch über gesunkene Treibhausgasemissionen infolge der Pandemie diskutiert, an diesen Stellen verbinden sich die Themen auch. Mit den neuen Impfstoffen haben wir für die Corona-Pandemie aber eine Perspektive am Horizont, die wir beim Klimawandel so nicht haben.

Wenn sich die globale Erwärmung in den nächsten Jahrzehnten so fortsetzt, werden die Klimawandelfolgen weitaus gravierender sein als die der aktuellen Pandemie. 2003 etwa gab es die bisher intensivste Hitzewelle in Europa. Hitzewellen haben klare Auswirkungen auf die Übersterblichkeit – diesen Begriff kennen mittlerweile alle. Genaue Schätzungen sind schwierig, aber es wird vermutet, dass die damalige Hitzewelle zwischen 40,000 und 70,000 Tote in ganz Zentraleuropa verursachte. Solche Zahlen fallen manchmal hinten runter. Mit einer Zunahme solcher Hitzewellen in Zukunft wird es tödlichere Konsequenzen geben.​

UnAuf: Herr Dr. Imbery, ich danke Ihnen für das Gespräch.