Netflix Kolumne: Ginny & Georgia – zwischen Rassismuskritik und Highschool

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Foto: Netflix

Einerseits für die Thematisierung von gesellschaftlichlichen Problematiken gelobt, andererseits aufgrund problematischer Witze kritisiert: Die Netflix-Serie Ginny & Georgia erzählt – nicht immer frei von Stereotypenreproduktion – die Geschichte von einer jungen Mutter und ihrer jugendlichen Tochter und von den Ups & Downs, die das Leben bereit hält.

Was passiert, wenn eine 15-jährige afroamerikanische Schülerin in ihrer ersten Stunde an einer neuen Schule bei ihrem konservativen Englischlehrer verkündet, sie habe keinerlei Interesse daran, eine männliche, weiße Sichtweise zu internalisieren? Sie bekommt erstmal kein Gehör geschenkt, sondern muss eine Standpauke über sich ergehen lassen, erhält jedoch die vollste Aufmerksamkeit, mitunter sogar Anerkennung, ihrer Mitschüler*innen. So stellt es jedenfalls die im Februar 2021 bei Netflix erschienene Dramedy-Serie Ginny & Georgia über das gleichnamige Mutter-Tochter-Paar dar. Die Serie nimmt die Thematik Rassismus durch Szenen wie eben genannte, aber auch durch die Frage nach dem „Wer bin ich eigentlich?“ und die Beschäftigung mit strukturellen Problemen wie Racial Profiling kritisch in den Blick.

Georgia Miller verließ vor sechzehn Jahren aufgrund zerrütteter Familienverhältnisse als Jugendliche ihr Zuhause und muss sich seither selbst versorgen. Kurze Zeit später lernte sie in einer Bar den etwas älteren Zion kennen und wurde von ihm schwanger, woraufhin sie sehr liebevoll von seiner Familie aufgenommen wurde – etwas, das sie bisher nie erfahren durfte. Doch als die gemeinsame Tochter Virginia (Ginny) auf der Welt war und eine eventuelle Übertragung der Fürsorgepflicht auf Zions Eltern zur Diskussion stand, ergriff Georgia mit Ginny die Flucht. Solche Kurzschlusshandlungen, die vermutlich von nicht verarbeiteten Traumata herrühren, tauchen im Verlauf der Serie noch öfters auf.

Georgias Vergangenheit wird durch Rückblenden erzählt, die in das eigentliche Seriengeschehen der Gegenwart eingebaut sind. Ginny Miller ist nun im gleichen Alter wie ihre Mutter, als sie mit ihr schwanger war, und hat mit ähnlichen Problemen zu kämpfen wie sie einst. Neben klassischen Herausforderungen des Erwachsenwerdens – erste sexuelle Beziehungen, sich zugehörig fühlen, Erfahrungen mit Drogen und Alkohol – gehören bei ihr auch ungesunde Bewältigungsstrategien – wie sich selbst mit einem Feuerzeug zu verbrennen – und eben Fragen nach ihrer herkunftsbezogenen Zugehörigkeit dazu. Als Kind einer Weißen Frau und eines Schwarzen Mannes scheinen sie diese ganz besonders zu bewegen und sie erklärt ihrem Freund Hunter: ‚I’m black, I’m white, it depends on who you ask…‘ Auf der neuen Schule freundet sich Ginny mit den Mädchen Max, Abby und Norah an und wird im Zuge dessen noch einmal mehr mit ihrer Identität konfrontiert, da sie sich mit ihren Freundinnen verbunden fühlen will und sich so oftmals zu Dingen verleiten lässt, für die sie eigentlich nicht „ausgelegt“ ist oder die für sie aufgrund rassistischer Strukturen im System negative Folgen haben, wie etwa ein Paar Ohrringe zu stehlen.

Auch eine Hinterfragung von Geschlechterrollen findet sich in der Serie, die allerdings nicht ganz gelungen ist: Obwohl Georgia als selbstbewusste und selbstbestimmte Frau dargestellt wird – die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern hat sich wiederholt aus toxischen Beziehungen befreit und wirkt mit sich und ihrem Körper zufrieden – schafft es die Serie doch nicht, diese bestärkende Note beizubehalten. Als Ginnys Leben in eine ähnliche Richtung wie das ihrer Mutter geht, gibt sie ihr mit dem Satz ‚You go through men faster than Taylor Swift‘ die Schuld an dieser Entwicklung. Die Sängerin selbst äußerte sich daraufhin auf Twitter dazu und schrieb, 2010 hätte angerufen, es wolle seinen ‚faulen, zutiefst sexistischen Witz‘ zurück.

Ginny soll eine nahbare Person darstellen, die nicht frei von Fehlern ist. So hat diese Äußerung ihrerseits nicht wirklich überrascht, zumal sie seit der ersten Folge ein Problem mit den wechselnden Männern ihrer Mutter hat. Trotzdem wäre so ein Kommentar im Jahr 2021 nicht nötig gewesen.

Die Serie wurde bereits des Öfteren mit der von 2000 – 2007 ausgestrahlten Serie Gilmore Girls verglichen und hat auch in der ersten Folge selbst Bezug darauf genommen. Bis auf den ähnlichen Altersunterschied zwischen Mutter und Tochter lässt sich jedoch nicht wirklich ein Überschneidungspunkt feststellen: Lorelai Gilmore stammt aus einem reichen Elternhaus, in welchem sie sich zwar nicht frei entfalten konnte, es ihr aber doch an nichts fehlte. Georgia Miller war gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen, und war obdachlos, als Ginny gezeugt wurde. Weiterhin spielt Ginny & Georgia zwar in einer Kleinstadt in den USA mit ihren typischen Gestalten (ebenso wie die Gilmore Girls). Auch hier gibt es das eine Café mit dem etwas mürrischen Besitzer, wo die Anwohner*innen trotzdem immer gerne hingehen, und einen Bürgermeister, der aber im Gegensatz zu Taylor Doose bei den Gilmore Girls als attraktiv und beliebt dargestellt wird.

Dennoch ist das Klima ein anderes: Durch Georgias Vergangenheit und den neben der Mutter-Tochter-Geschichte erzählten Strang von der Auflösung um den mysteriösen Tod von Georgias Ehemann ist dies viel düsterer und ließe sich eher bei der von 2010 – 2017 ausgestrahlten Serie Pretty Little Liars wiederfinden. Auch die bei Ginny & Georgia behandelten Themen sind um einiges ernster als die bei den Gilmore Girls – und natürlich auch aktueller, bedenkt man, wann die letzte Folge ausgestrahlt wurde. Es geht bei Ginny & Georgia um Rassismuskritik, um weibliche Selbstständigkeit, um die Verarbeitung von Problemen und Traumata im Jugendalter, um Nahbarkeit und um einen Hauch von Crime.