Am 11.06. veröffentlichte das Präsidium der HU eine Stellungnahme zum Stand der Aufarbeitung der pro-palästinensischen Besetzung des Instituts für Sozialwissenschaften am 22. und 23. Mai. Vor allem geht es dem Präsidium um einen optimistischen Blick in die Zukunft der Universität. Besonders diesen betrachtet unsere Autorin allerdings mit Skepsis und lässt sich eine sehr späte, aber immer noch genauso relevante Antwort nicht nehmen.

Mit dem Statement möchte das HU-Präsidium:

  • zurückkehren zu einem sicheren Raum für alle Mitglieder der Uni. Dabei stehe der Schutz jüdischer Studierender und Mitglieder der HU an erster Stelle.
  • eine vertiefte akademische Auseinandersetzung mit dem Israel-Palästina-Konflikt anstoßen.
  • die Folgen der Besetzung aufarbeiten. Dabei gehe es in erster Linie darum, sich kritisch mit Antisemitismus an der Uni zu beschäftigen. Dazu gehöre auch eine Auseinandersetzung mit jüdischer Kultur, jüdischem Denken und jüdischer Geschichte in Deutschland, Israel und weltweit.

All das sind wichtige Punkte. Was mir aber auch auffällt: Palästinenser*innen werden nicht erwähnt, einzig der Verweis, dass sich in Veranstaltungen auch mit palästinensischen Organisationen beschäftigt werden sollte. Dieses ominöse Umgehen von Palästinenser*innen (den Menschen) in diesem Konflikt verlangt eine Antwort. Hier kommt meine:

Es ist toll, dass Sie als Präsidium der HU nach vorne blicken wollen. Es ist auch nur zu bestärken, dass Sie jüdische Studierende vor Hass und Gewalt schützen wollen. Sollte der Fokus dann aber nicht insbesondere auf der erstarkenden Rechten, vor allem auch in universitären Kontexten, liegen? In Frankfurt (Oder) zeigten Mitglieder eines Universitätssportclubs offen Nazi-Symbolik. Die Jungen Nationaldemokraten – die offizielle Jugendorganisation der NPD – sind schon seit Jahren an Hochschulen in ganz Deutschland aktiv und versuchen dort Mitglieder*innen zu rekrutieren – glücklicherweise ist von der HU bisher nichts bekannt. Solange sich die deutschen Unis nicht ernsthaft der Aufarbeitung des historisch tief verwurzelten rechten Gedankenguts widmen, wird auch niemals der Antisemitismus an der Universität aufgearbeitet werden. Dass Antisemitismus ein gesamtgesellschaftliches Problem – auch von links – ist, ist kein Geheimnis. Dennoch: Die steigenden Zahlen an antisemitischen Vorfällen einzig auf die Pro-Palästina-Demonstrationen zu schieben, wäre im Angesicht der Ergebnisse der Europawahl nicht nur fahrlässig, sondern würde der Rechten mehr als in die Karten spielen. Sicher sind Ihnen die sozialwissenschaftlichen Theorien bekannt, laut denen die Befreiung aller unterdrückten Personengruppen untrennbar zusammenhängt – so schrieben es Schwarze Aktivist*innen wie bell hooks und Audre Lorde bereits vor über 40 Jahren. Die Diskriminierung jüdischer Studierender lässt sich demzufolge nicht von der Diskriminierung anderer, von Unterdrückung betroffener, Studierender trennen.

In diesem Sinne frage ich mich: Was ist mit den palästinensischen Studierenden? In Ihrem Statement geht es um die pro-palästinensische Besetzung des Sowi-Instituts: Wie können Sie diejenigen Studierenden, die an diesem Ort zu der gefährdetsten Gruppe zählten, in keinem einzigen Wort erwähnen? Wie können Sie “als Präsidium nach vorn schauen”, ohne die reale Gefahr anzuerkennen, der etliche Ihrer eigenen Studierenden im Rahmen der Räumung ausgesetzt waren? Wieso können Sie nicht gleichzeitig Mitgefühl für jüdische, palästinensische und alle von Diskriminierung betroffene Studierende aufbringen? Warum darf das Leid der Palästinenser*innen an der Uni keinen Platz finden? Weshalb “gilt unsere erste Sorge” nicht auch dem Schutz palästinensischer – und anderer arabisch gelesener – Studierender? Wieso wird die antimuslimische Rhetorik, die im Zuge der Berichterstattung über die Besetzung zunehmend genutzt wurde, nicht auch aufs Schärfste kritisiert? Und warum können Sie nicht anerkennen, dass diese unausgeglichene und undifferenzierte Stellungnahme die Wut und das Missverständnis derjenigen Studierenden nur bestärkt, die aktuell für ihre politischen Meinungen kämpfen? Derjenigen Studierenden, die das Sowi-Institut besetzten. Aber auch derjenigen, die vor dem Institut protestiert haben und sich einfach ein Ende des Kriegs wünschen. 

In diesem Konflikt geht es nicht um Besetzer*innen vs. jüdische Studierende. Diese Dichotomie ist von außen gesetzt und wurde von Seiten der Studis nie so kommuniziert. Es geht auch nicht darum, jüdischen Studierenden abzusprechen, dass sie sich unsicher fühlen oder in irgendeiner Weise zu behaupten, Antisemitismus an der Uni wäre kein Problem. Ganz im Gegenteil: Es geht darum, Studierende zu schützen. Es geht um freie Meinungsäußerung, die für viele Studis – im Angesicht der Repressionen der Polizei – aktuell nicht gegeben ist. Und es geht um das Recht, an der Universität für den eigenen politischen Standpunkt einzutreten, ohne Angst zu haben, von der Polizei verprügelt und festgenommen zu werden. Wie können wir zu einem “friedlichen und respektvollen Diskurs zurückkehren”, wenn nicht einmal diese Grundlage gegeben ist? 

 

Anm. d. Redaktion: Dieser Artikel spiegelt die Meinung der Autorin und keineswegs diejenige der gesamten Redaktion wider.


Foto: Privat

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