Hoher Besuch im Plenarsaal der fünften Sitzung des 31. Studierendenparlaments: HU-Präsidentin Julia von Blumenthal stellte den Abgeordneten Rede und Antwort zu Themen wie Demokratie, Studium und Lehre sowie Antisemitismus an der Uni. Der größte Diskussionspunkt betraf die am 26.03. vom Berliner Senat beschlossene Gesetzesvorlage zur Wiedereinführung des Ordnungsrechts.

Das Studierendenparlament tagte am 24. April an gewohnter Stelle in der Ziegelstraße 4, allerdings unüblicherweise in Anwesenheit der HU-Präsidentin von Blumenthal, die sich zum Anfang der Sitzung Zeit für einen Dialog mit den Studierendenvertreter*innen genommen hatte. Dabei sorgte besonders ein Thema für Unstimmigkeit, denn obwohl die Änderung des Berliner Hochschulgesetzes bereits beschlossen wurde, ist seine Umsetzung stark umstritten. Dabei handelt es sich um einen Gesetzentwurf des Berliner Senats, der es Hochschulen ermöglicht, Studierende nach einem mehrstufigen Sanktionsverfahren in letzter Instanz auch zwangsweise exmatrikulieren zu können (UnAuf berichtete). 

Aktueller Anlass für die Verschärfung sei laut von Blumenthal der zunehmende Antisemitismus an Berliner Hochschulen. Die verschärften Maßnahmen fänden aber auch im Schutz Betroffener von Gewalt und sexualisierten Übergriffen seine Anwendung. Die Exmatrikulation von Täter*innen sei ein letztes Mittel zum Opferschutz im Kontext des studentischen und akademischen Lebens, als Folge eines angemessenen Verfahrens. Sich der Wiedereinführung zu verwehren, signalisiere betroffenen Personen, die gemeinsam mit ihrem Täter weiter studierten: „Wir können nichts für euch tun, ihr müsst euch an ein normales Strafverfahren wenden”. Die Präsidentin versicherte des Weiteren, dass Teilnehmende an friedlich bleibenden Demonstrationen und auch Besetzungen eine Zwangsexmatrikulation nicht zu befürchten hätten.

Mitglieder des StuPa richteten kritische Nachfragen an die Präsidentin. Die Linke Liste (LiLi) problematisierte, dass der Begriff des „friedlichen Protests” im Gesetzestext nicht genau definiert sei. Eine Exmatrikulation bedeute mitunter einen größeren Einschnitt in den Lebensweg einer Person als eine strafrechtliche Verurteilung, bisherige Maßnahmen zur Einschränkung von Täter*innen an der Uni gebe es bereits ausreichend. Ein weiteres Mitglied der LiLi führte an, dass das Gesetz in seiner aktuellen Formulierung großen Raum für Missbrauch berge. Die Offene Liste Kritischer Studierender (OLKS) wendete ein, dass Zwangsexmatrikulationen in der Vergangenheit in den meisten Fällen ohnehin von Gerichten gekippt worden seien. 

Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) forderte von Blumenthal zu einer Positionierung bezüglich des gewaltvollen Übergriffs auf einen jüdischen Studenten der FU auf, der im Februar brutal zusammengeschlagen wurde. Blumenthal verwies auf Maßnahmen zum expliziten Schutz jüdischer Studierender, die unter anderem die kürzlich eingestellte Antisemitismusbeauftragte Prof. Dr. Liliana Ruth Feierstein umfassten.
Abgeordneter Gregor Kahl der internationalistisch agierenden trotzkistischen Liste IYSSE ließ es sich nicht nehmen, in einem das Ordnungsrecht ablehnenden Statement zur Solidarisierung mit der internationalen Arbeiter*innenklasse aufzurufen.

In Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit an der Uni berichtete die Präsidentin, es gebe mindestens zwölf Unisex-Toiletten, an weiteren arbeite man zurzeit. Zudem könnten nicht-binäre und transidente Menschen in allen internen Dokumente ihren selbstgewählten Namen nutzen.
Die LiLi lenkte Aufmerksamkeit auf die Barrierefreiheit und beklagte unzureichende Nachteilsausgleiche für Studierende. Man habe sich als Universität schwerpunktmäßig Barrierefreiheit vorgenommen, betonte von Blumenthal. Das Interdisziplinäre Kompetenzzentrum KORA des Instituts für Rehabilitationswissenschaften biete zudem bereits eine Diagnostik für Nachteilsausgleiche an. 

(Nextbike-)Fahrräder für alle

Auch Wahlen der Referate standen auf der Tagesordnung: Für die zum Zeitpunkt der Sitzung unbesetzten Referate für Kultur sowie für Öffentlichkeitsarbeit ließen sich keine Kandidierenden finden. Das Referat für Internationales wurde dagegen mit Melanie und Tanja (volle Namen nicht auffindbar) besetzt, das Referat für Antirassismus mit Eyouael und das Referat für Publikation mit Lou (volle Namen ebenfalls nicht auffindbar).

Das Referat für Ökologie und Umweltschutz beantragte im weiteren Verlauf der Sitzung einen Beschluss, der Studierenden die kostenlose Nutzung von Fahrrädern des Anbieters Nextbike ermöglichen würde, zunächst testweise für den Zeitraum von Mai bis September. Pauschal wurden dafür 60.000 Euro aus dem Refrat-Budget veranschlagt.
Nach dem Wegfall der kostenlosen Fahrradmitnahme im neuen Deutschlandticket für Studierende solle das Konzept ein Alternativangebot darstellen. Auch internationale Studierende gehörten zu einer stark vom Angebot profitierenden Gruppe, da sie häufig kein eigenes Rad in der Stadt hätten. Zudem sei es für weiblich gelesene Personen ein erheblicher Vorteil, abends und nachts nicht lange Strecken zur nächsten ÖPNV-Station zu Fuß gehen zu müssen.

Die darauf folgende Diskussion zeigte sich allerdings wenig konstruktiv – von Seiten verschiedener Listen gab es einiges zu bemängeln.
Ein Mitglied der Liste „Ewig und drei Tage” kritisierte, dass die Dichte an verfügbaren Fahrrädern außerhalb des S-Bahn-Rings deutlich nachlasse und dort zudem eine Abstellgebühr verlangt werde, wenn Räder nicht an Nextbike-Stationen abgestellt würden. Zudem wies er auf eine Kostenfalle hin, die bei einer Überschreitung der Zeitbegrenzung von 60 Minuten drohe und kritisierte die Unterstützung eines internationalen kapitalistischen Unternehmens. Ein Mitglied der Liste ZfgU bemängelte die Diskriminierung von Studierenden, die kein Smartphone besäßen. Ein Änderungsantrag auf Ermöglichung eines Zugangs ohne Smartphone scheiterte zwar – der Öko-RefRat versicherte jedoch, sich diesbezüglich noch einmal beim Anbieter zu erkundigen. 

Sebastian Esten vom Ring Christlicher Studierender (RCDS) trieb derweil ein ganz anderes Manko um: „Ist der RefRat geschmiert von Nextbike?” fragte er am Redner*innenpult in die Runde. 60.000 Euro seien eindeutig zu viel Geld, dieses wäre noch besser in Deutschlandfahnen angelegt, polemisierte er zum Unmut der LiMe (linken Mehrheit): Eine Anspielung auf das Verbot von schwarz-rot-goldenen Flaggen beim geplanten RefRat-Public-Viewing der anstehenden Fußball-Europameisterschaft.
RCDS-Mitstreiterin Ekaterina trieb anschließend RefRats- und Präsidiumsmitglieder*innen an den Rand der Verzweiflung, als sie leidenschaftlich dafür plädierte, das Geld lieber in die Behebung von „Problemen in der Wissenschaft” zu investieren – ein Zuständigkeitsbereich, der explizit nicht der Verwendung von Geldern des RefRats obliegt. Nach ausufernden Diskussionen und einer Begrenzung der Redezeit wurde der Antrag schlussendlich allerdings mit bedeutender Mehrheit angenommen.

Chaos beim Thema Ordnungsrecht

Anschließend stand auch unabhängig vom Gespräch mit von Blumenthal eine Debatte zur „Wiedereinführung des Ordnungsrechts” auf der Tagesordnung. Wie die anderen Berliner Asten hatte sich auch der RefRat gegen die Gesetzesänderung ausgesprochen. Bevor es zum hochschulpolitischen Schlagabtausch kommen konnte, stellte der RCDS einen Antrag auf Feststellung der Beschlussfähigkeit, um daraufhin fluchtartig den Saal zu verlassen. Nach dem Scheitern des Antrags mussten jedoch alle Abgeordneten in den Saal zurückkehren und Bengt Rüstemeier von der Linken Liste stellte den Antrag zur Ablehnung des Ordnungsrechts vor. Er argumentierte, dass die Hürde für eine Zwangsexmatrikulation zu niedrig sei. Abgeordneter Gregor Kahl von der IYSSE sprach vom Ordnungsrecht als einem Angriff auf alle, insbesondere internationalen Studierenden. Der Senat wolle die Universitäten zu „Kaderschmieden für die herrschende Klasse” umbauen und Kritik an Israels Kriegsführung in Gaza unterdrücken, die er als „Genozid” bezeichnete. Ekaterina Latinova vom RCDS erklärte dagegen, sie als internationale Studentin fühle sich durch die Wiedereinführung des Ordnungsrecht keineswegs eingeschränkt, dieses mache die Uni vielmehr zu einem Safe Space für Betroffene von Diskriminierung. Daraufhin entgegnete Hanna (voller Name nicht auffindbar), Referentin für Queerfeminismus, Hausverbote (aktuell noch begrenzt auf drei Monate) stellten einen effektiveren Diskriminierungsschutz dar als Zwangsexmatrikulation. Am Ende sprach sich das StuPa mit großer Mehrheit gegen die Wiedereinführung des Ordnungsrechts in der aktuellen Form aus, mit Gegenstimmen des RCDS und Enthaltung der Juso-Hochschulgruppe.

Bevor es mit einer Debatte über eine Sicherheitsübung der Polizei auf dem Campus weitergehen konnte, stellte der RCDS einen weiteren Antrag auf Feststellung der Beschlussfähigkeit, der erneut knapp scheiterte.
Am 15. März führte die Berliner Polizei, als Reaktion auf den Amoklauf an der Prager Karls-Universität im Dezember vergangenen Jahres eine Sicherheitsübung auf dem Campus der HU durch. Daraufhin veröffentlichte der RefRat eine Pressemitteilung, in der er die Polizeipräsenz auf dem Campus scharf kritisierte. Diskriminierte Studierendengruppen könnten sich bedroht fühlen, argumentieren sie. Bis auf den RCDS solidarisierten sich letztlich alle anwesenden Fraktionen mit dem RefRat und positionierten sich gegen die Polizeiübung auf dem Campus. 

Anmerkung der Redaktion: Wie Studierende einen kostenlosen Nextbike-Zugang erhalten, erfahrt ihr hier.


Foto: Heike Zappe