Am zweiten und letzten Tag der pro-palästinensischen Besetzungsaktion am Institut für Sozialwissenschaften wurde intensiv verhandelt. Auf der Straße fanden erneute Solidaritätsbekundungen statt, bis das Institut schließlich geräumt wurde – auf Anordnung des regierenden Bürgermeisters. Die UnAuf war vor Ort und hat die Stimmung eingefangen.

Der pro-palästinensischen Besetzung im Institut für Sozialwissenschaften wurde von Seiten des Präsidiums ein Aufenthalt bis 18 Uhr des Donnerstagabends gestattet. Am Mittag desselben Tages fanden sich erneut zahlreiche Unterstützende der von Gruppen wie „Palästina spricht”,  „Student Coalition Berlin” und Vereinigungen einzelner Berliner Universitäten organisierten Besetzung vor dem Gebäude zusammen.  Ein Schild mit den Worten „Welcome Desk” hing an diesem Tag der Besetzung am Hintereingang des sozialwissenschaftlichen Instituts. Vor dem Schild versammelten sich ab circa 15 Uhr immer mehr Menschen, um in das Gebäude zu gelangen. Hauptsächlich, um die Verhandlungen zwischen dem HU-Präsidium und den Besetzer*innen mitzubekommen, die an diesem Nachmittag stattfinden sollten. Ab circa 15:15 Uhr stoppte der Einlass, da laut Polizei mit 50 Personen die maximale Anzahl von Menschen erreicht worden sei. 

Während drinnen die Besetzung weiter lief und die Verhandlungen begonnen, mussten sich die übrigen Demonstrant*innen, Schaulustigen und Journalist*innen mit einem weiteren Schild begnügen, auf dem „On the other side of the street there are journalists live streaming. Beware of Cameras” geschrieben stand. 

Schild vor dem Gebäude

Sowohl das Uni-Präsidium, als auch die Besetzer*innen durften Personen nominieren, denen erlaubt wurde, den Verhandlungen beizuwohnen. Pressevertreter*innen wurde der Zutritt weitestgehend verwehrt. Ein Journalist des Mediums „Neues Deutschland” sei jedoch geduldet worden, hieß es vor dem Gebäude.
Presse sei auch deshalb nicht zum Gespräch zugelassen worden, „weil es für alle Beteiligten ein Raum sein soll, in dem sie frei sprechen können”, wie eine Besetzerin erklärte. Auf der Straße formierte sich lautstarke Unterstützung. Eine junger Mann erklärte freundlich, er sei heute hier, weil er die Freiheit Palästinas ohne eine Besetzung unterstütze. Außerdem sei ihm Meinungsfreiheit wichtig. Eine weitere Unterstützerin erklärte, ihre Anwesenheit spreche für sich.

Abschirmen von Gegendemonstration

Drei bis vier Personen hielten vor dem Gebäude Israelflaggen in die Luft, was von der umstehenden Menge mit „Shame on you”-Rufen quittiert wurde. Die Personen wurden umringt, von Pressevertreter*innen als auch von Demonstrierenden. Eine Person versuchte, das von den Israel-solidarischen Gegendemonstranten hochgehaltene Banner mit einem Tuch abzuschirmen.

Abschirmen der Gegendemonstration

Eine pro-palästinensische Demonstrantin erklärte, dass sie hier sei, um sich „mit Palästina im Kampf gegen den jahrelangen Genozid zu solidarisieren”. Sie halte es für ein „schon ganz falsches Framing”, Personen mit Israelflagge als Gegendemonstration zu bezeichen: „Wenn Faschos auf die Demo kommen, geht das ja auch nicht. Heute demonstrieren wir gegen Völkermord.“ Wer sich dagegen stelle, unterstütze diesen.

Ein israelsolidarischer Gegendemonstrant bemerkte: „Ich verstehe nicht, wieso es zu einem Clash kommt, nur weil sich drei Personen hier hinstellen und die Israelflagge hochhalten. Warum ist eine einzelne Person mit Israelflagge eine derartige Provokation für 250 Personen mit Keffiyehs? Wieso muss man eine Person so angehen, die nicht mal eine Parole brüllt?” Den häufig geäußerten Vorwurf eines „Silencings” von palästinensischen Stimmen halte er in Anbetracht dieses Verhaltens für absurd. Graffitis aus dem Inneren des Gebäudes finde er teils extrem verstörend. Er sei hierher gekommen, weil er an der Diskussion hätte teilnehmen wollen: „Ich habe gehofft, dass man mal darüber reden kann.Eine gemeinsame Gesprächsgrundlage komme jedoch schwer zustande. „Aber eine andere Lösung gibt es ja nicht”, betonte er. Man solle sich mit aller Kraft für eine Koexistenz beider Völker einsetzen, das sehe er bei den Protesten aber nicht gegeben. Um seinen Hals trug der junge Mann eine Kette, die sich für die Befreiung der israelischen Geiseln ausspricht, die beim Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober in den Gazastreifen verschleppt worden sind.

Zähe Verhandlungen mit jähem Ende

Die Verhandlungen im Institut zogen sich über Stunden. Ab 16:30 begann die Polizei, den Bereich vor dem Gebäude freizumachen, wohl um eine effektive Räumung der Besetzung gewährleisten zu können. Demonstrierende wurden teils rabiat in Richtung Grimm-Zentrum geschoben, wo viele hinter einer Metallabsperrung und umringt von Sicherheitskräften weiter mit lauten Sprechchören ihre Unterstützung der Besetzung verdeutlichten. In der Menge eingeschlossene Personen berichteten, dass es nahezu unmöglich gewesen sei, den Ort zu verlassen.

Reporter Thilo Mischke (Pro7, Berliner Zeitung), selbst ehemaliger Student der HU, war mit Mikrofon und Kamera vor Ort. Protestfreiheit sei grundsätzlich ein hohes Gut, äußerte er gegenüber der UnAuf. „Durch Corona haben wir allerdings gelernt, dass man ganz genau aufpassen muss, mit wem man demonstriert”, ergänzte Mischke in Bezug auf die Besetzung.
Ein Video aus dem Inneren des Gebäudes zeigt die letzten dreißig Minuten des Gesprächs zwischen Präsidium und Besetzer*innen. Es ist unter anderem zu sehen, wie die Präsidentin telefoniert, und Besetzer*innen Sorge äußern und offensiv auf das Präsidium einreden. Wenn sie das Gebäude verließen, müssten sie mit Repressionen der Polizei rechnen, was für große Empörung sorgte. Man erwarte vom Präsidium, dass man geschützt werde und ohne weitere Konsequenzen das Gebäude verlassen könne. Die Universitätsleitung versicherte den Besetzenden, keine eigenen Strafanzeigen zu stellen, konnte aber für weiteres polizeiliches Vorgehen nicht haften. In Begleitung von Präsidiumsmitgliedern sei es möglich, unbeschadet aus dem Gebäude zu gelangen. Einige nahmen das Angebot an, andere blieben im Institut, bis es durch die Polizei geräumt wurde. Eine Person kritisierte, dass es ihr von Seiten der Beamten nicht ermöglicht worden war, das Gebäude friedlich zu verlassen. Im Gespräch wurden auch Sorgen internationaler Studierender vor einer Ausweisung aus Deutschland laut, die eine Exmatrikulation nach sich ziehen könnte. Viele an der Diskussion beteiligten Personen verstanden kein Deutsch, sodass sie die Präsidiumsmitglieder dazu aufforderten, Englisch zu sprechen.  

Nach Beginn der nun doch pünktlich durchgeführten Räumung trat Präsidentin Julia von Blumenthal draußen vor die Presse und erklärte in Bezug auf die Besetzenden: „Mir ist es wichtig, in diesem Moment bei den Studierenden zu sein, weil ich auch ihre Präsidentin bin, auch wenn ich die politischen Forderungen nicht teile.” Es sei möglich gewesen, mit gegenseitigem Respekt zu sprechen, „auch über das, was uns trennt”. Man habe sich mehr Zeit gewünscht, um eine einvernehmliche Lösung zu finden. Es habe die Anordnung des regierenden Bürgermeisters und der Wissenschaftssenatorin gegeben, das Gebäude unverzüglich räumen zu lassen. „Dem habe ich Folge geleistet”, sagte von Blumenthal. 

Laut RBB wurden etwa 130 Personen zeitweise festgenommen und die Identitäten der etwa 150 Besetzer*innen aufgenommen. Es gibt bereits Anzeigen, unter anderem wegen „schweren Landfriedensbruchs“. Der Ring Christlich Demokratischer Studierender forderte in einer Pressemitteilung den Rücktritt der Präsidentin. Durch die Duldung der Besetzung habe die Präsidentin sich „direkt verantwortlich gemacht, dass es wieder Platz für Judenhass im Herzen der Bundeshauptstadt gibt”, hieß es dort. Eine israelsolidarische Kundgebung wurde heute vorm HU-Hauptgebäude abgehalten. Dort wurde die Besetzung scharf kritisiert und ein strengere Wachsamkeit vor Antisemitismus angemahnt.
Die
Student Coalition Berlin” hat derweil eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, mit der Besetzer*innen, denen rechtliche Konsequenzen und Bußgelder drohen, finanziell unterstützt werden sollen. Zum aktuellen Zeitpunkt sind bereits 12.100 Euro zusammengekommen.


Fotos: Hannah Isabella Schlünder, Pia Wieners

Anm. d. Red.: Der Artikel wurde nachträglich bearbeitet.