Überfüllte Kurse, gestresste Student*innen und der Kampf um Leistungspunkte – das zeichnet die Realität des Studiums heutzutage aus. Wieso von „aller Zeit der Welt“ und Weltreisen während des Studierens nicht mehr die Rede sein kann und wie sich in der Regelstudienzeit der Realitätsdruck offenbart. 

Rein sprachlich betrachtet ist dieses Wort aus dreien zusammengesetzt – Regel, Studien und Zeit. Das bedeutet, dass Student*innen laut der Studien- und Prüfungsordnung ihr Studium idealerweise in einer bestimmten Anzahl an Semestern absolvieren sollten. Für einen Bachelorstudiengang sind das in der Regel sechs Semester. 

Ursprünglich nur eine Richtlinie, die als juristische Absicherung von Student*innen eingeführt wurde. Versichert wird damit, dass alle Student*innen ihr Studium innerhalb der Regelstudienzeit vollständig absolvieren können, ohne Gefahr zu laufen, dass der Studiengang währenddessen von der Universität eingestellt wird. Durch die vorangegangene Einführung des Bachelor- und Mastersystems sollte zusätzlich eine höhere Vergleichbarkeit von Abschlüssen in Europa erfolgen, indem die Studienzeit verkürzt und die Inhalte verschult wurden. Doch was ursprünglich als Hilfestellung gedacht war, entpuppt sich für manche als Albtraum.

Die Regelstudienzeit ist vielen Student*innen lediglich als Stressfaktor bekannt. Vor allem BAföG-berechtigte Personen stehen besonders unter Druck. Denn die BAföG-Förderung ist an die Regelstudienzeit gebunden. Nur unter Angabe besonderer Gründe, wie beispielsweise einer Schwangerschaft oder dem Absolvieren eines Auslandssemesters, besteht die Möglichkeit auf eine Verlängerung. Aber nicht nur das Amt für Ausbildungsförderung setzt Student*innen unter Druck, sondern indirekt auch die Familienkassen der Bundesagenturen für Arbeit, da ab dem 25. Lebensjahr alle staatlichen Unterstützungen für Eltern entfallen. Daraus lässt sich ableiten, dass solche gesellschaftlichen Systeme Student*innen von Beginn an für einen frühen Arbeitsmarkteinstieg vorsehen. Die Ironie dahinter ist, dass kaum jemand, der nicht an die Regelstudienzeit gebunden ist, sein Studium so schnell absolviert. Das bedeutet, dass der Plan, Student*innen in der Regel so schnell wie möglich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, für finanziell unabhängige Personen nicht funktioniert.

Dieser künstlich erzeugte Zeitdruck, kombiniert mit dem üblichen Leistungsdruck eines Studiums, führt zur systematischen Abfertigung des Lernens. Es spielt keine Rolle mehr, ob die Inhalte richtig verstanden wurden. Zudem bleibt für eine thematische Vertiefung keine Zeit – nur die Abschlussprüfung zählt. Dass es sich hierbei oft nur um „Bulimie-Lernen“ handelt, macht sich spätestens an gravierenden Wissenslücken bemerkbar und dem Unvermögen, sich an die Inhalte der früheren Semester zu erinnern. Die persönliche Bildung ist nicht das Einzige, die darunter leidet. Oft ist es kaum möglich, das gewünschte „typische Student*innenleben“ zu führen. Mangelnde Freizeit neben Studium und Job ist die Regel. Das hat zur Folge, dass Student*innen oft nicht zur Ruhe kommen, der enorme Stresspegel sich auf ihre Gesundheit auswirkt und zudem die Lust und Motivation am Studium schwindet.

Anstatt die Regelstudienzeit zu einer relevanten Qualifikation zu erheben, wäre es von Vorteil, Student*innen mehr Zeit zu lassen. So hätten sie die Chance, sich umfangreich zu bilden und könnten ihr Leben als junge Erwachsene erfolgreich regeln. Während der Corona Pandemie wurde die Regelstudienzeit verlängert, um den Student*innen ein stressfreieres Studieren unter diesen Bedingungen zu ermöglichen. Vielleicht werden bald mehr Universitäten diese Sonderregelung dauerhaft etablieren und wer weiß – eventuell ist eine hohe Ziffer hinter der Semesteranzahl in Zukunft ein positives Zeichen für Arbeitgeber*innen.


Illustration: Lotte Maria Koterewa

Dieser Artikel wurde bereits in der Ausgabe #263: Ostpaket veröffentlicht.