Dozierende und Professor*innen von Berliner Universitäten – darunter auch der HU – haben einen offenen Brief unterzeichnet. Darin kritisieren sie die in ihren Augen vorschnelle Räumung des Protestcamps an der FU-Berlin am vergangenen Dienstag. Das Bündnis Fridays for Israel protestierte vor der HU-Berlin gegen den Aufruf.

In einem offenen Brief haben 357 Dozierende und Professor*innen von etlichen Berliner Universitäten – darunter auch der HU – ein „Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten” veröffentlicht.
Zahlreiche Studierende, Alumni und Lehrbeauftragte verschiedener anderer (auch ausländischer) Universitäten schlossen sich an. Zum jetzigen Zeitpunkt zählt der Brief damit insgesamt 1284 Unterzeichner*innen. Ein Großteil der unterzeichnenden Lehrpersonen stammt von der FU-Berlin, es unterzeichneten jedoch auch um die 80 Lehrende der HU, darunter der ehemalige HU-Geschichtsprofessor Michael Wildt, die Professorin für Europäische Ethnologie Regina Römhild, die Philosophieprofessorin Rahel Jaeggi, der Literaturprofessor Joseph Vogl und Tuba Işık, Professorin für Islamische Theologie.

Anlass des Briefes war der Versuch einer pro-palästinensischen Besetzungsaktion an der FU-Berlin am vergangenen Dienstag, dem 07. Mai. Die unangemeldete Veranstaltung wurde gegen Nachmittag von der Polizei geräumt und endete mit 79 vorübergehenden Festnahmen. Am Freitag zuvor (03.05.) hatte es an der HU eine vom selben Bündnis initiierte Sitzblockade gegeben, die ebenfalls von der Polizei beendet wurde und im Zuge dessen 37 Ermittlungsverfahren wegen möglicher Fälle von Volksverhetzung sowie Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erfolgten.

Als Lehrende an Berliner Hochschulen fühlten sich die Unterzeicher*innen dazu verpflichtet, Studierende auf Augenhöhe zu begleiten und sie unter keinen Umständen Polizeigewalt auszuliefern. Dies gelte unabhängig von konkreten Forderungen des besagten Protestcamps, man wolle lediglich grundlegende demokratische Rechte wie das auf friedlichen Protest, sowie die Versammlungs- und Meinungsfreiheit schützen. Besonders an Universitäten schließe dies auch Besetzungen von Uni-Gelände mit ein.
„Angesichts der angekündigten Bombardierung Rafahs und der Verschärfung der humanitären Krise in Gaza sollte die Dringlichkeit des Anliegens der Protestierenden auch für jene nachvollziehbar sein, die nicht alle konkreten Forderungen teilen oder die gewählte Aktionsform für nicht geeignet halten”, heißt es in dem Statement.
Dabei sei es für grundrechtlich geschützten Protest keine Voraussetzung, dass er auf Dialog ausgerichtet sei – im Interesse einer gewaltfreien Lösung wäre ein Gesprächsangebot vonseiten des Präsidenten der FU, Günter Ziegler, vor der Räumung dennoch angemessen gewesen. Polizeiliche Maßnahmen gegen Studierende auf dem Campus seien das denkbar schlechteste Mittel der Auseinandersetzung, stattdessen solle der “Dialog mit den Studierenden und der Schutz der Hochschulen als Räume der kritischen Öffentlichkeit” oberste Priorität haben – nur durch Auseinandersetzung und Debatte würden Lehrende und Universität ihrem Auftrag gerecht. Daher solle man von weiterer strafrechtlicher Verfolgung absehen.

HU-Präsidentin Julia von Blumenthal hatte ihrerseits am vergangenen Freitag beim „Sit In” auf dem HU-Ehrenhof ein entsprechendes Gesprächsangebot gemacht – dieses wurde von den Protestierenden allerdings abgelehnt. Mindestens eine demonstrierende Person forderte daraufhin ihren Rücktritt.
Es erfolgte umgehende Kritik an dem Brief, unter anderem von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), dem Berliner Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und der Berliner Senatorin für Bildung und Forschung Ina Czyborra (SPD). Sie alle kritisierten die unterzeichnenden Dozierenden scharf.

Das Bündnis Fridays for Israel rief am vergangenen Freitag zu einer Mahnwache vor dem HU-Hauptgebäude auf, um sich zu positionieren. Der Titel der Veranstaltung lautete „Campus-Solidarität: Gemeinsam für jüdisches Leben und das Existenzrecht Israels”. Es nahmen rund 150 Personen teil. Laut Tagesspiegel wurden sowohl die studentischen Proteste, als auch die Solidarisierung seitens der Dozierenden kritisiert: Nazi-Rhetorik kehre zurück an die Universitäten. Es sei untragbar, dass sich Dozierende im Kontext von menschenverachtenden Aussagen hinter Studierende stellten, sagte Anna Staroselski, die ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD). Die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten sei damals ebenfalls von Studierenden initiiert worden, mahnte sie an. Die unterzeichnenden Personen seien mit schuld daran, dass sich jüdische Studierende an Universitäten nicht mehr sicher fühlten. Volker Beck, Ex-Grünen-Politiker und Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft betonte, er sei sprachlos von dem Aufruf der Dozierenden. Diese hätten „offensichtlich keine Ahnung von Strafrecht” – eine Anspielung auf den Umstand, dass bei manchen Teilnehmer*innen der Proteste der Verdacht auf Volksverhetzung bestehe, was eben nicht in die Gerichtsbarkeit von Universitäten falle.


Foto: Heike Zappe