Dass das sozialwissenschaftliche Institut der HU (Stand heute: für etwa 24 Stunden) besetzt war, dürfte spätestens am Donnerstagmorgen allen aufgefallen sein, die sich ihren Weg zur Uni durch die Georgenstraße bahnten. Denn neben dem Rattern der S-Bahn, den unzähligen Baustellen, bei deren Umgehen stets die Gefahr besteht, angefahren zu werden (die Gegend um die Friedrichstraße ist wohlgemerkt immer noch keine autofreie Zone) und ein paar verlorenen Touristen gibt es heute einen weiteren Störfaktor: Nein, nicht die Besetzer*innen. Die haben um die Uhrzeit vermutlich noch in ihren Hörsaal-Himmelbetten geschlummert. Ich meine die unübersehbaren Massen an Polizist*innen. Nicht nur vor dem SoWi-Institut, auch vor der Mensa stehen sie. Meistens breitbeinig und ausdruckslos, immer einschüchternd. Gut, dass ich schnell zum Seminar muss und nicht weiter darüber nachdenken kann, wie es wohl ist, meinen Kurkuma-Bratling später mit Blick auf diese uniformierten Personen zu verspeisen. Da beschwere ich mich schon gar nicht mehr über die Baucontainer auf der Wiese vor der Mensa, die seit Jahren den Blick zum Himmel versperren. Vielleicht fällt so manch einem CDUler bei dieser nun ungewöhnlich großen medialen Aufmerksamkeit für unsere Uni mal auf, wie bedürftig dieser Campus eigentlich ist.

Das Gefühl der Beklemmung verfliegt etwas, als ich merke, dass die ganz große Mehrheit der Leute sich nicht sonderlich von der Besetzung tangieren lässt. Klar, alle reden, alle fragen sich, ob das Polizeiaufgebot nicht etwas übertrieben ist (wer kennt sie nicht, die bis an die Zähne bewaffneten Studierenden?), die meisten beschäftigen sich weiter mit Studium und Alltag. Und trotzdem liegt Spannung in der Luft.

Ich spüre eine gewisse (nicht nur journalistische) Verantwortung und möchte wenigstens einmal sehen, welche Leute sich dazu entschlossen haben, das Institut zu besetzen, wie es von innen aussieht und was die Diskussion mit dem Präsidium ergibt, die um 15 Uhr stattfinden soll. Vor dem Gebäude sammelt sich nun dementsprechend noch viel mehr Polizei, die mit zum Teil aggressiven Tonfall und Schubsbewegungen die Masse versucht im Zaum zu halten. Auch hier wieder eher übertrieben, denn so viele Leute sind es nicht. Hinter dem Zaun stehen einige der Besetzer*innen, oft mit Pali-Tuch und Maske aus Corona-Zeiten bedeckt. Im Innenhof hinter dem Tor steht ein Tisch, auf dem sich Bananen, Hafermilch und Kaffeefilter türmen. Ich versuche es und frage, ob ich mir die Diskussion anschauen darf, ich sei Studentin und von der Studierendenzeitung der HU. Was für die Polizistin am Eingang kein Problem darstellt, muss von den Besetzer*innen erst einmal „intern abgesprochen“ werden. Es überrascht, dass ich über den Ausgang dieser internen Besprechung nicht weiter informiert werde und dementsprechend draußen bleiben muss. Fast noch mehr überrascht mich allerdings, dass der Begriff der „Lügenpresse“ nicht fällt. So, wie sich die Gruppe zu Journalist*innen verhält. Am Zaun prangt ein Schild: For your information: on the other side of the street there are journalists live-streaming. Beware of cameras!

Spätestens nach dem ekelhaft denunzierenden Artikel der BILD verständlich, dass die Protestierenden nicht erkannt werden wollen. Aber: Wie bitte soll eine faire und differenzierte Berichterstattung funktionieren, wenn jeglicher Dialog verwehrt wird? Das Neue Deutschland wird als einziges Medium zugelassen, alle anderen müssen draußenbleiben. Und können dementsprechend nur darüber berichten, was sie von außen sehen und hören: Aggressivität und autoritäres Gehabe von allen Seiten. Wutgeladene Sprechchöre von nicht immer harmlosen Parolen, ein Polizist, der einen Reporter vollkommen ungerechtfertigt anbrüllt und dann immerzu diese ausweichenden Antworten auf der anderen Seite des Zauns: „Das müssen wir intern besprechen. Ich bin hier nicht die Ansprechpartnerin“. Ja, und wer bitte ist denn dann der oder die Verantwortliche? Was sind das denn für hierarchische Strukturen? Und überhaupt: Du bist Teil einer Besetzung, mit der du dich ganz klar positionierst, du stellst dich hinter „Intifada“ und Schweine-Graffitis, die eben nicht nur mit dem Begriff der “Bullenschweine” assoziiert, sondern in diesem Kontext auch als antisemitisch verstanden werden können. Aber unter vier Augen möchtest du dich mit niemandem unterhalten, auch nicht mit Leuten, die nicht vorhaben, studentischen Protest prinzipiell in den Dreck zu ziehen.

Die Erfahrung lässt mich irgendwie an ein geisteswissenschaftliches Seminar denken, in dem diejenigen, die sich am lautesten beteiligen, deren Hände am schnellsten in die Höhe schnellen, meist die sind, deren Gedanken auf Papier unverständlich sind. Vielleicht sollten wir nächstes Mal ein paar Notizblöcke zu den Bananen legen.


Fotos: Anna Raab

Anm. d. Red.: Dieser Artikel wurde nachträglich geändert.

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